AllgemeinHistorisches

Ein deutscher Stenograf vor amerikanischem Gericht

Wir berichteten kürzlich (DStZ Nov.62, Heft 11), daß ein Mitglied des Landshuter Stenografenvereins in den USA die Prüfung als Gerichts- und Verhandlungsstenograf ablegte. Siegfried Dengl verbrachte nun einen kurzen Urlaub in seiner Heimatsstadt, bevor er seine erste Stelle als Gerichtsstenograf in Amerika antrat. Während des Urlaubs überreichte der Vorsitzende des Stenografenvereins Landshut das Ehrenzeichen des Deutschen Stenografenbundes für zehn Jahre Mitgliedschaft. Dabei berichtete der 27jährige Gerichtsstenograf über seinen Werdegang.

Als bei Siegfried Dengl die Versetzung in die 4. Klasse der Oberschule gefährdet schien, verließ er die Schule, wurde Lehrling bei einem Landshuter Autohändler, besuchte die Berufsschule und trat in den Landshuter Stenografenverein ein. Schon bald beteiligte er sich erfolgreich an seinem ersten Wettschreiben (Note 1 bei 100 Silben), in der gleichen Geschwindigkeit schrieb er auch beim Kreisverbandsschreiben. Er verließ die Berufsschule mit Auszeichnungen und konnte im Studentenaustausch ein Jahr in Amerika verbringen. Nach seiner Rückkehr schrieb und übertrug er 140 Silben mit hervorragend. Im folgenden Jahr schrieb er 160 Silben.

Während des Studienaufenthaltes hatte Siegfried Dengl das Diplom einer High School erworben. Vor fünf Jahren entschloß er sich, wieder mach Amerika zur Fortsetzung seiner Studien zu gehen. Seinen Unterhalt erwarb er sich während des Besuches des Spencerion College in Milwaukee durch verschiedene Jobs. Er war tätig als Maschinenschreiber, Buchhalter, Chauffeur, Bankkassierer und zweiteilig samstags auch als Bäcker.

In Amerika stenografiert Siegfried Dengl nach dem Systems Gregg. Er bedauert, daß er nicht früher die Übertragung der deutschen Einheitskurzschrift auf das Englische kennengelernt hat, da sie nach seiner Meinung durch die genauere Selbstlautandeutung deutlicher sind. Allerdings hat das System Gregg für die bei Gericht immer wiederkehrende Redewendungen sehr gute Kürzungen entwickelt.

Nun ist Siegfried Dengl als Gerichtsstenograf beim Schöffengericht in Toronto tätig. Als Gregg-Schreiber sei man in Kanada ein Außenseiter, da dort das System Pitman vorherrscht. In Kanada würden im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten beim Gericht auch Ausländer beschäftigt.

Die Gerichtsverhandlungen sind wörtlich aufzunehmen und ohne stilistische Überarbeitungen zu übertragen. Das Stenogramm wird allerdings nur übertragen, wenn der Staat klagt oder Revision eingelegt wird. Für die Übertragung erhält jeder Stenograf eine Sondervergütung von 1 Dollar je Seite.

In Amerika wird fast ausschließlich mit Stenografiermaschinen stenografiert. Siegfried Dengl berichtete, daß er in seiner Schule der letzte Gregg-Schreiber gewesen ist. Er kann aber keine Stenografiermaschine bedienen, da ihm ein Finger fehlt. Außerdem erreiche man mit der Handstenografie schneller dir geforderte Geschwindigkeit. Man hat auch Versuche mit Tonbandgeräten gemacht, die aber zu einem Fiasko führten. Manche Rechtsanwälte haben eine besondere Technik darin entwickelt, bei Aussagen, die für ihre Mandaten unangenehm sind, z.B. mit Papier zu rascheln, so daß diese Stelle auf dem Band unverständlich wird.

 Es kommt auch ziemlich häufig vor, daß der Stenograf aus seinem Stenogramm Fragen oder Antworten während der Verhandlung vorlesen muß. Die Stellen sind natürlich im Stenogramm schneller zu finden als auf dem Tonband.

Auch in Amerika herrscht Mangel an guten Stenografen. Es werden deshalb Stipendien denjenigen gewährt, die sich an Stenografiermaschinen ausbilden lassen.

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